- Die Notenbanken auf beiden Seiten des Atlantiks wollen schwachem Wirtschaftswachstum und niedriger Inflation mit einer Lockerung der Geldpolitik begegnen.
- Auf Jahressicht dürften in den USA die Leitzinsen und in der Eurozone die Einlagensätze für Banken entsprechend angepasst werden.
- Vor allem die Renditen von US-Staatsanleihen und Unternehmensanleihen der Eurozone könnten in den kommenden Monaten bröckeln.
US-Notenbankchef Jerome Powell und sein Gegenüber bei der Europäischen Zentralbank EZB, Mario Draghi, sind sich einig: Es muss jetzt abwärts gehen mit den Zinsen – bevor es aufwärts gehen kann. Entsprechend haben sich beide Notenbanker geäußert. Sowohl Powell als auch Draghi sehen wachsende Risiken, die Wirtschaft und Finanzmärkte kräftig erschüttern könnten. Dazu zählen etwa ein möglicher Krieg im Nahen Osten, ein harter Brexit, eine neue Haushaltskrise im Euroraum oder auch immer mehr Zölle im Rahmen internationaler Handelskonflikte. Auch Christine Lagarde, die ab November den Posten von Draghi übernehmen soll, dürfte das so sehen. Vor allem für Anleiheanleger ist der jüngste geldpolitische Kursschwenk der Notenbanken bedeutend. Sechs Fragen und Antworten:
1. Warum werden die Zinsen jetzt weiter gesenkt – sollten wir nicht längst wieder normale Zinsniveaus haben?
In der Eurozone ist bisher gar nichts normal, was die Zinsen angeht. Die Leitzinsen liegen bei Null und der Einlagensatz, also der Zins, zu dem Banken ihr Geld bei der Notenbank parken können, sogar unter Null. EZB-Präsident Draghi argumentiert nun: Angesichts des anhaltend schwachen Wirtschaftswachstums, der geopolitischen Risiken und der hartnäckig niedrigen Inflation, könne die Euro-Notenbank bald mit weiteren Zinssenkungen reagieren oder sogar wieder mehr Anleihen kaufen. Das sind für einen Notenbanker sehr konkrete Worte und deshalb nehmen die Märkte diese Aussagen ernst.
In den USA ist es anders. Dort sind die Zinsen in den vergangenen Jahren auf eine Spanne von derzeit 2,25 bis 2,50 Prozent gestiegen. Doch auch Fed-Chef Powell hat nun eine Verschlechterung der weltweiten Wirtschaftsdaten diagnostiziert. Zudem verweist er auf die enormen Risiken eines internationalen Handelskriegs. Auch seine Äußerungen lesen Investoren als konkrete Ankündigung von Zinssenkungen.
Die Fed dürfte Zinsen senken und die EZB ihren Einlagensatz noch stärker ins Minus drücken.
Staatsanleihen dürften einen Renditerückgang erleben und Unternehmensanleihen vergleichsweise stabil bleiben.
2. Wie weit wird es noch abwärts gehen mit den Zinsen?
Die Experten der DWS gehen davon aus, dass die Fed nun den Leitzins in den nächsten zwölf Monaten zwei Mal um jeweils einen Viertelprozentpunkt senken dürfte, also um insgesamt 50Basispunkte (100 Basispunkte entsprechen einem Prozent). Die EZB dürfte parallel mit einer Reduktion ihres Einlagensatzes reagieren. Derzeit steht der Satz bei minus 0,4 Prozent. Es dürfte laut DWS-Schätzung um weitere 0,1 Prozentpunkte abwärts gehen. Beide Notenbanken hoffen damit, die fragile Konjunktur auf Kurs halten zu können und vor allem in der Eurozone die Inflationswerte mittelfristig wieder zu normalisieren.
3. Wie wirkt sich das auf die Anleihemärkte aus?
Der Anleihemarkt ist ein gutes Barometer für die Erwartungen von Investoren über künftige Zins- und Inflationsniveaus. Viele Marktrenditen festverzinslicher Anlagen sind zuletzt gesunken. Nicht nur Notenbanker, auch Anleger scheinen also derzeit damit zu rechnen, dass die seit langem erwartete große Zinswende aufwärts noch länger auf sich warten lässt. Gleiches scheint für die Rückkehr zu „normalen“ Inflationsverhältnissen zu gelten. Die Zielmarke der EZB für die Inflation beträgt knapp 2 Prozent – tatsächlich lag sie im vergangenen Monat bei 1,2 Prozent.
4. Was sollten Anleiheinvestoren in Staatsanleihen nun beachten?
Die Renditen dürften laut neuer DWS-Prognosen bei einer ganzen Reihe von festverzinslichen Wertpapieren über die nächsten zwölf Monate sinken – und die Kurse, wie bei Anleihen dann üblich, entsprechend steigen. Nehmen wir etwa einen der wichtigsten globalen Zinsanzeiger, die zehnjährige US-Staatsanleihe. Ihre Marktverzinsung könnte laut Schätzung von derzeit 2,13 Prozent auf 2,0 Prozent im Juni 2020 sinken. Über sämtliche Laufzeiten hinweg haben die Experten ihre Prognosen für amerikanische Staatsanleihen um 0,3 Prozentpunkte – oder 30 Basispunkte – reduziert.
5. Wie sind die Aussichten für Bundesanleihen und europäische Staatsanleihen?
Hier gestaltet sich das Bild etwas anders. Die Hauptindikatoren für die künftigen Zinserwartungen, zehnjährige Bundesanleihen, rentieren ohnehin derzeit negativ und sind damit kaum attraktive Investments. Für risikoreichere Staatsanleihen der Eurozone, etwa denen Spaniens oder Italiens, ist mit einer Einengung der Risikoaufschläge, also mit niedrigeren Renditen, zu rechnen. Ein Grund dafür könnte die Hoffnung sein, dass – wie es Draghi nun in Aussicht gestellt hat – die EZB ihre Anleihekaufprogramme wiederbeleben wird. Das sollte am Markt für mehr Nachfrage sorgen, die Kurse stützen und die Renditen auch hier unter Druck bringen.
6. Welche Anleihesegmente versprechen derzeit Potenzial?
Kurzfristig sieht die DWS Potenzial bei Unternehmensanleihen guter Bonität (Investment Grade) aus den USA und Europa, da sich die Zinsaufschläge gegenüber Staatsanleihen (Spreads) einengen und dadurch die Kurse steigen dürften. Anleihen aus Schwellenändern, Staatsanleihen wie Unternehmensanleihen, bieten einen deutlichen Renditeaufschlag zu ihren Pendants aus Europa und den USA.
Angepasste Zwölfmonatsprognose für Staatsanleihen
Aktuell 21.Juni 2019* |
Prognose |
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Rendite von Staatsanleihen | ||
US (2-jährige) | 1,90% | 1,70% |
US (10-jährige) | 2,13% | 2,00% |
US (30-jährige) | 2,61% | 2,50% |
US-Kommunalanleihen* | 77,78% | 80,00% |
Securitized / MBS* | 40 bp | 38 bp |
Deutschland (2-jährige) | -0,68% | -0,70% |
Deutschland (10-jährige) | -0,23% | -0,10% |
Deutschland (30-jährige) | 0,38% | 0,40% |
Italien (10-jährige) | 265 bp | 270 bp |
Spanien (10-jährige) | 83 bp |
80 bp |