- China will bis 2030 die führende Macht bei künstlicher Intelligenz (KI) werden – noch liegen die USA vorne.
- Aber auch der chinesische KI-Markt wächst rasant und kann internationalen Anlegern Investmentchancen bieten.
- Die Unternehmen des Landes profitieren von einer starken Inlandsnachfrage, politischer Unterstützung und einer technikbegeisterten Bevölkerung.
Es war der berühmte „Sputnik“-Moment. Die künstliche Intelligenz (KI) AlphaGo von Google fegte erstmals den südkoreanischen Go-Meister Lee Sedol vom Brett – bei einem Spiel das strategisch wesentlich komplexer ist als etwa Schach.
2016 war das. Und ähnlich wie die USA einst nach der Erdumrundung des russischen Sputnik-Satelliten ihr Mondlandeprogramm ausriefen, so war die Go-Niederlage für China der Auslöser für ehrgeizige Ziele: Bis 2030[1] will das Land nun unumschränkter Technologieführer bei KI werden und bereits 2025 führend bei Einzeltechnologien sein. Milliardenbeträge strömen dazu aus der Pekinger Staatskasse in die Erforschung und Entwicklung intelligenter Software durch chinesische Unternehmen und Forschungsstellen.
Chinas Regierung fördert heimische KI-Unternehmen mit Milliardenbeträgen. Das Ziel: Die globale Nummer eins.
KI ist für die Menschheit das Feuer des 21. Jahrhunderts
Dass das gesellschaftliche Potenzial von Computerintelligenz nahezu unerschöpflich scheint, ist unbestritten. Sundar Pichai, der CEO von Google, ist etwa der Meinung, dass Künstliche Intelligenz für die Menschheit noch wichtiger sei als die Entdeckung von Feuer und Elektrizität. Wer hier also die Nase vorn hat, wird einmal entscheidend auf die allmählich aufblühenden Märkte rund um „denkende“ Computeralgorithmen Einfluss nehmen können und davon wohl auch enorm wirtschaftlich profitieren.
„Derzeit haben die USA noch die Technologieführerschaft bei KI-Grundlagentechnologien inne – etwa bei Machine Learning, Semantischer Analyse und Cognitive Computing. Doch China schließt auf. Das sollte auch Anleger interessieren, die in Zukunftstechnologien investieren wollen“, sagt Tobias Rommel, Fondsmanager des DWS Invest Artificial Intelligence.
Wo steht das offiziell kommunistisch geführte Riesenreich derzeit bei KI, das wegen der fehlenden Demokratie oft als technologische Entwicklungsdiktatur bezeichnet wird? Ist Pekings selbst gesteckter Fahrplan zur Technologieführerschaft realistisch?
Fest steht: Die generöse staatliche Förderung übersetzt sich bereits in sprunghaft wachsende Umsätze. Das Marktvolumen der chinesischen KI-Branche wird bereits 2022[2] geschätzte rund 22 Milliarden US-Dollar erreicht haben – ein Plus von fast 60 Prozent gegenüber 2018. Cognitive Computing versucht, über Software die Funktionsweisen des menschlichen Gehirns und menschlichen Denkens zu simulieren.
KI-Führungsrolle der USA noch unangefochten
Wichtige Indikatoren belegen jedoch noch einen deutlichen Vorsprung der USA. Dort gibt es bereits mehr als 1.000 KI-Unternehmen, viele davon mit einer großen Zahl an Patenten. Darunter sind international bekannte Namen – etwa Google, Facebook, Salesforce und Microsoft, aber auch zahlreiche bekannte Start-ups[3] wie Nuro, UiPath oder Avant.
Das amerikanische IT- und Beratungsunternehmen IBM, Betreiber des Computersuperhirns „Watson“, hat laut einer Studie der Weltorganisation für geistiges Eigentum (WIPO) mit 8.290[4] Erfindungen bisher weltweit die meisten KI-Patente angemeldet. Auf dem globalen zweiten Rang landet der Softwaregigant Microsoft, der es auf 5.930 Erfindungen bringt.
Um funktionieren zu können, muss KI-Software gigantische Datenmengen innerhalb kürzester Zeit auswerten können. Dazu wird leistungsstarke Hardware benötigt. Und auch hier sind die USA bei der Herstellung schneller Prozessoren und Speichertechnologien mit Firmen wie Nvidia oder Intel bisher führend.
Bei der Bilderkennung spielt China bereits vorn mit
Doch in einzelnen Disziplinen wendet sich das Blatt bereits. Dass mittlerweile 48 Prozent der weltweiten Investitionen in nicht börsennotierte KI-Unternehmen in China getätigt werden, macht sich bemerkbar. In der Weltspitze spielen chinesische Ingenieure etwa schon bei der KI-gestützten Auswertung visueller Daten mit. Zum Beispiel bei der Analyse von Röntgen- und Satellitenbildern oder bei der Gesichtserkennung. Auch die Verarbeitung menschlicher Sprache gehört zu einer herausragenden Domäne chinesischer KI-Entwickler.
Unternehmen wie SenseTime, Tencent, Unisound, Face++ und Baidu – das chinesische Pendant zu Google – haben sich hier mit leistungsfähigen Lösungen hervorgetan.[5] Und der Marktforscher CB Insights zählt in China schon mindestens zehn „Einhörner“ im KI-Sektor, also Start-ups mit einem Wert von mehr als einer Milliarde US-Dollar, deren Aktien noch nicht an der Börse gehandelt werden.[6]
Chinas KI-Unternehmen profitieren von laxem Datenschutz und wenig Privatsphäre.
Aufholjagd bei KI-Wissen ist in vollem Gang
Dabei verfügt das Riesenreich noch immer über eine deutlich kleinere Zahl an KI-Experten. Von weltweit gut 200.000[7] Forschern und Ingenieuren stammen derzeit knapp 30.000 aus den USA und nur gut 18.000 aus China, zeigt eine Studie der Tsinghua Universität in Peking. Werden nur die als „Weltklasse“ geführten Experten gezählt, verfügen die USA mit 5.518 Leuten sogar über mehr als fünf Mal so viele Top-Forscher, wie China mit derzeit knapp 1.000 Hochkarätern.
Aber auch bei der Wissensbasis wird der Abstand der KI-Rivalen kleiner. Eine Analyse des Allen Institute for Artificial Intelligence zeigt, dass chinesische Forscher ihren Anteil an den zehn am häufigsten zitierten wissenschaftlichen Artikeln zu KI stetig erhöhen. 2018 lag er bereits bei 26,5 Prozent.[5] Zum Vergleich: Die USA kamen auf 29 Prozent und verzeichneten zuletzt eine rückläufige Quote.
Chinas Technikbegeisterung fördert die KI-Entwicklung
Auch DWS-Technologie-Experte Tobias Rommel schätzt die KI-Entwicklung in China positiv ein: „Im Vergleich zu westlichen Nationen sind chinesische Bürger der neuen Technologie gegenüber offener und probierfreudiger. Für sie rücken Datenschutz und Privatsphäre schneller in den Hintergrund, wenn sie das Gefühl haben, dass eine Anwendung ihr Leben bequemer oder sicherer macht. Dadurch können Forscher und Unternehmen auf enorme Datenbestände aus dem ‚wahren Leben’ zugreifen – und die sind nun Mal das Herz von guter KI-Entwicklung. Auf lange Sicht dürfte aber entscheidend sein, ob sie ihre Produkte auch im Ausland an den Mann bringen.“
Der chinesische KI-Markt ist jedenfalls auch für die Fondsmanager des DWS Invest CROCI Intellectual Capital immer häufiger einen Blick wert. Ihr Investmentansatz basiert auf dem strukturellen Wandel der Wirtschaft vom Sachkapital hin zum immateriellen Kapital, zu dem unter anderem KI-Patente zählen.
Chinesischer Sicherheitssektor ist Top-Abnehmer von Künstlicher Intelligenz.
Künstliche Intelligenz ist in China omnipräsent
„Wer nach China reist, sieht, dass Künstliche Intelligenz dort bereits allgegenwärtig ist“, berichtet Tobias Rommel. Künstliche Intelligenz wertet dort etwa Kameraaufnahmen aus, um Gebäude zu sichern oder Verkehrsverstöße aufzudecken. Gesichtserkennungssysteme werden unter vielen weiteren Anwendungen etwa bei Konzerten eingesetzt. Identifizieren sie einen Straftäter auf freiem Fuß, benachrichtigen sie die Polizei.
Deshalb überrascht es auch nicht, dass der chinesische Sicherheitsapparat derzeit der größte Abnehmer von Künstlicher Intelligenz ist.[2] Das zweitgrößte Anwendungsgebiet ist das Finanzwesen – gefolgt von Marketing und Transport.
Und auch für chinesische Schüler gehört KI schon zum Alltag. In einer Oberschule in Hangzhou serviert Künstliche Intelligenz den Kindern das Mittagessen. Ein Computer scannt ihre Gesichter. Im Anschluss erhält jedes Kind das Menü, das es zuvor bestellt hat. Der Computer wertet dann auch die aus den Bestellungen gezogenen Ernährungsdaten aus und liefert den Eltern Optimierungsvorschläge.