26. Jul 2019 Aktien

Politische Börsen: Auch kurze Beine tragen manchmal weit

„Politische Börsen haben kurze Beine.“ Diese bekannte Börsenweisheit trifft in der Regel zu und kann nervenstarken Investoren günstige Einstiegschancen eröffnen.

  • Anleger sollten politische Risiken zum Beispiel nach überraschenden Wahlausgängen nicht überbewerten. Die Börsen kehren meist rasch zum Alltag zurück.
  • Die entscheidenden Kurstreiber an den Finanzmärkten sind Wirtschaftsentwicklung, Zinsen und Gewinnentwicklung.
  • Auf längere Sicht hat das politische Umfeld aber durchaus Einfluss auf das Geschehen an den Börsen.
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Sowohl das überraschende Brexit-Votum als auch die Wahl von US-Präsident Donald Trump vermochten die Börsen nur kurz in Aufregung zu versetzen.

Börsenweisheiten im Check

Anleger werden an der Börse mit einer Vielzahl von Weisheiten konfrontiert. Nicht immer stellen sich diese Ratschläge als zutreffend heraus. Ein Realitätscheck ist nötig. Diesmal im Test: „Politische Börsen haben kurze Beine.“

Wer an der Börse investiert, wünscht sich einfache Regeln für grundlegende Fragen. Zum Beispiel: Wann soll ich eine Aktie kaufen, wann wieder verkaufen? Manch ein Anleger sucht Orientierung bei Börsenweisheiten, die teilweise schon seit Jahrzehnten kursieren und immer wieder zitiert werden.

Ein Klassiker unter diesen Weisheiten lautet, dass politische Börsen kurze Beine hätten. Ist das nur ein flotter Spruch oder steckt tatsächlich mehr dahinter?

Fundamentaldaten geben die Richtung vor

Dazu muss man erst einmal die Bedeutung dieser Börsenweisheit ergründen. Sie bezieht sich auf überraschende politische Ereignisse wie einen unerwarteten Wahlausgang oder Regierungswechsel. Das kann heftige Reaktionen an den Märkten auslösen, wobei die Kurse in den meisten Fällen nach unten tendieren. Doch schon nach kurzer Zeit – das ist mit den „kurzen Beinen“ gemeint – sollte der Alltag an der Börse wieder Einzug halten. Schließlich sind es ökonomische Fundamentaldaten wie die Zins- und Konjunkturentwicklung oder der Gewinnzyklus der Unternehmen, die die Entwicklung an den Finanzmärkten maßgeblich beeinflussen.

Zwei anschauliche Beispiele für politische Börsen lieferte das Jahr 2016. Zum einen fand Ende Juni das Votum zum Austritt Großbritanniens aus der Europäischen Union (Brexit) statt, das die Befürworter überraschend für sich entscheiden konnten. Nach einem kurzem Schockmoment fingen sich die Märkte aber binnen weniger Wochen wieder. Auch weil die Investoren hofften, Großbritannien werde sich mit der EU schon auf eine für beide Seiten akzeptable Lösung einigen.

Langfristige Wertentwicklung

06/14 - 06/15 06/15 - 06/16 06/16 - 06/17 06/17 - 06/18 06/18 - 06/19
Dax 11,3 % -11,6 %  27,3 % -0,2 % 0,8 %

Wertentwicklungen in der Vergangenheit sind kein verlässlicher Indikator für zukünftige Wertentwicklungen.

Weil die Politik die Rahmenbedingungen für die Wirtschaft setzt, ist längerfristig durchaus ein Einfluss auf die Aktienmärkte gegeben.

Wenige Monate später gerieten die Märkte erneut in Aufruhr, als die Amerikaner Donald Trump für viele unerwartet zum US-Präsidenten wählten. Hier hatte die politische Börse tatsächlich sehr kurze Beine, denn innerhalb weniger Stunden drehten die Aktienmärkte von einem deutlichen Minus in die Gewinnzone. So ist es häufig nach Abstimmungen: Weil unklar ist, ob und welche Folgen sie für die Wirtschaftspolitik haben, geben sich die Anleger nach der ersten Aufregung gelassen.


Manche Risiken zeigen sich erst später

Es wäre allerdings falsch zu glauben, dass die Politik keinerlei Einfluss auf die Börsenkurse hätte. Zur Zeit der Eurokrise, die 2010 ihren Ausgang nahm, hielten Spekulationen über Rettungsschirme, die Einführung gemeinsamer Euro-Staatsanleihen oder das Eingreifen der Europäischen Zentralbank die Finanzmärkte über Monate in ihrem Bann. Hier zeigte sich, dass politische Börsen durchaus sehr lange Beine haben können.

Der aktuelle Handelsstreit zwischen den USA und China könnte die Finanzmärkte ebenfalls noch länger auf Trab halten. Denn es besteht die Gefahr, dass die im Zuge der Globalisierung erreichten positiven Effekte des Freihandels sich ins Gegenteil verkehren. Die kurz nach der Wahl von US-Präsident Trump aufgekommenen Ängste könnten sich auf längere Sicht also doch noch bewahrheiten. Und auch beim Brexit ist das letzte Wort noch nicht gesprochen. Sollte sich Großbritannien tatsächlich für eine harte Trennung von der EU ohne Austrittsabkommen entscheiden, dürfte das Auswirkungen auf die Konjunktur und die Gewinne der Unternehmen diesseits und jenseits des Ärmelkanals haben und die Börsenkurse drücken.

Auch die Mehrheit der professionellen Anleger ist davon überzeugt, dass politische Börsen kurze Beine haben. Nach einer Umfrage der Deutschen Vereinigung für Finanzanalyse und Asset Management (DVFA)[1] sind 63 Prozent der Befragten dieser Meinung. Gleichzeitig glauben aber 59 Prozent, dass der generelle Einfluss der Politik auf die Kapitalmärkte zunimmt.


Gelassenheit ist Trumpf

Wie können Anleger dieses Wissen für sich nutzen? Wer an einem langfristigen Vermögensaufbau interessiert ist, sollte das kurzfristige Auf und Ab als normale Börsenbewegungen ansehen und aussitzen, auch wenn es einmal hektisch zur Sache geht. Das gelingt umso besser, je breiter ein Depot diversifiziert ist. Wer sich hingegen von der allgemeinen Panik anstecken lässt und unüberlegt sein Depot räumt, dürfte das in den meisten Fällen schon wenig später bereuen. Nervenstarke Anleger können politische Börsen sogar als günstigen Einstiegszeitpunkt nutzen.

Politische Risiken kommen erst dann zum Tragen, wenn sich tatsächlich nachhaltig die Rahmenbedingungen für die Wirtschaft verändern, sei es durch stärkere Regulierung, neue Steuern oder Handelsbeschränkungen. Dann zeigen politische Börsen plötzlich einen langen Atem, und die Anleger müssen sich darauf einstellen.

Anleger sollten sich nicht von einer allgemeinen Panikstimmung anstecken lassen und ihre Aktienbestände vorschnell verkaufen. Angst ist immer ein schlechter Ratgeber.

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1. Quelle: https://www.institutional-money.com/news/maerkte/headline/gilt-der-satz-politische-boersen-haben-kurze-beine-heute-noch-immer-133586/

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